Wer vor gar nicht allzu langer Zeit eine Karriere als Richter oder Staatsanwalt anstrebte, musste zwingend durch eines auffallen: Exzellente Noten in beiden Staatsexamina. Denn auserwählt wurden nur erstklassige Absolventen; ohne mindestens zweimal vollbefriedigend (VB) war eine Bewerbung in der Justiz schlicht aussichtslos. Für Kandidaten mit geringerer Punktzahl wurde ein Bewerbungsverfahren zumeist noch nicht einmal eröffnet.
Diesen Luxus kann sich der Öffentliche Dienst heutzutage nicht mehr leisten; die hochqualifizierten Bewerber bleiben weg. Die Jobs auf dem Rechtsmarkt verteilen sich auf immer weniger Juristen, und die Besten werden weitgehend von den Großkanzleien abgefischt. Nicht wenige Arbeitgeber in der Branche zahlen mittlerweile deutlich sechsstellige Gehälter– für Berufsanfänger, versteht sich.
Sinkende Anforderungen
Bei solchen Gehaltssteigerungen hält die Justiz nicht mit. Das Anfangssalär für eine Richterstelle liegt durchschnittlich bei etwa 48.000 Euro brutto, nicht gerade ein Traumgehalt verglichen mit Jobs in Unternehmen oder Großkanzleien. Und es wird nicht einfacher. Nicht nur, dass in den kommenden Jahren überdurchschnittlich viele Richter und Staatsanwälte pensioniert werden, denn die Generation der Baby-Boomer geht in Rente. Zusätzlich sieht der im Koalitionsvertrag vereinbarte Pakt für den Rechtsstaat noch die Neuschaffung von 2.000 Richterstellen vor.
Die Justiz ist damit im War for Talents angekommen. Die Bundesländer reagieren zwar unterschiedlich, aber bei allen werden die Hürden für den Berufseinstieg niedriger. Einige Länder senken die Mindestpunktzahl bei den Staatsexamina, andere beschränken sich auf eine Gesamtpunktzahl aus den Resultaten in beiden Prüfungen. Und selbst diese Vorgaben sind nicht immer in Stein gemeißelt, sondern dienen nicht selten als Orientierungsmarken. Eintrittsvoraussetzung als Verhandlungssache sozusagen.
Zweitstudium statt Prädikat?
Noch etwas ist neu: Fehlende Prädikatsexamina können in einigen Bundesländern durch Zusatzqualifikationen ausgeglichen werden. Am häufigsten fallen hier Begriffe wie Berufserfahrung, Zusatzausbildung und Auslandserfahrung. Allesamt Fähigkeiten, die für die Befähigung zum Richteramt zuvor nicht von allzu großem Interesse waren; indes, dem Berufsbild in der Justiz wird es nützen. Denn auf diese Weise bekommen mehr Bewerber eine Chance, die während des Studiums und danach über den Tellerrand geschaut haben und so ein gewisses Maß an Lebenserfahrung mitbringen.
Employer Branding in der Justiz
Einige Bundesländer gehen noch einen Schritt weiter und heben aktiv die Vorzüge einer Anstellung im Öffentlichen Dienst hervor, um die Jobs in der Justiz noch schmackhafter zu machen. Zu den klaren Pluspunkten gehören der sichere Arbeitsplatz, die betriebliche Altersvorsorge und eine klare Arbeitszeitbegrenzung, Stichwort Work-Life-Balance. Von so einer 39-Stunden Woche sind zumindest Anwälte in Großkanzleien meistens ganz weit weg.
Wen diese Argumente noch nicht überzeugt haben, den lockt vielleicht auch ein gewisser Idealismus. Schließlich bietet ein Job in der Justiz sachliche und persönliche Unabhängigkeit. Als Richter trägt man von Anfang an Verantwortung und ist nicht an Vorgaben von Mandanten oder Arbeitgebern gebunden. Und nicht zuletzt stellt man seine Arbeitskraft in den Dienst der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – für viele Top-Absolventen ebenfalls ein Beweggrund, sich mit den Gehältern des Öffentlichen Dienstes anzufreunden.