Seit Jahren boomt der Bereich Legal Tech. Zahlreiche Unternehmen drängen mit innovativen Lösungen auf den Rechtsmarkt und verändern langsam, aber sicher die Arbeitsweise von Anwälten und Justiz. Allerdings findet diese Entwicklung bisher keine echte Entsprechung in Ausbildung und Examen für Juristen in Deutschland.
Das könnte sich nun zumindest im Hinblick auf die Examensklausuren ändern. In Hamburg wurde dem Senat vor einem Monat ein Antrag mit dem Inhalt vorgelegt, die Einführung IT-unterstützter Klausuren in den juristischen Staatsexamina aktiv voranzutreiben. Sachsen-Anhalt ist noch schneller unterwegs: Hier sollen Referendare testweise bereits ab April 2019 ihre Klausuren am Rechner schreiben können.
Erleichterung für Prüflinge und Korrektoren
Klarer Pluspunkt für das digitale Staatsexamen ist das vereinfachte Schreiben samt besserer Lesbarkeit der Klausuren. Prüfungsteilnehmer müssen sich nicht mehr die Finger wundkritzeln und inständig hoffen, dass die hektisch verfassten letzten Seiten der Klausur noch halbwegs zu entziffern sind. Korrektoren ihrerseits dürften dankbar über jede Arbeitserleichterung sein, und auch jeglicher Verdacht einer Besserbenotung schön geschriebener Unterlagen entfiele von vornherein.
Bessere Vorbereitung auf den Job
Zudem, so argumentiert zumindest der Antrag an den Hamburger Senat, entspreche diese Art der Prüfung viel eher der künftigen Arbeitsweise der Absolventen. Mit dem digitalen Examen könne das Schreiben juristischer Texte am Rechner eingeübt und somit ein sinnvolles Tool für das Arbeitsleben vermittelt werden.
Indes hat die derzeitige technische Entwicklung diese Begründung wohl bereits überholt. Denn die Mehrzahl der Anwälte tippt nicht, sie diktiert. Ob traditionell mit Hilfe des Sekretariats oder mittels moderner Sprachtechnologie, der Anteil der Kollegen, die noch selber am Computer schreiben, wird immer kleiner. Gleiches gilt auch für die Berufe in der Justiz: Derzeit setzen immer mehr Bundesländer auf digitale Spracherkennung bei Gerichten und Verwaltung.
Echte Vorteile durch die E-Klausur?
Im Hinblick auf juristische Klausuren drängt sich die Frage auf, inwieweit ein Zeitvorteil bei der Korrektur tatsächlich gegeben ist. Bisher beschränkt sich dieser auf das schnellere Durchlesen der Texte. Anders als bei Prüfungen, die mit Multiple-Choice-Fragen oder Lückentexten arbeiten und die innerhalb von Minuten durch entsprechende Software korrigiert sind, ist eine rein elektronische Bewertung von Freitext-Klausuren noch nicht möglich, zumindest im Moment. Diese Arbeit wird bei den Korrektoren weiterhin einen erheblichen Zeitaufwand beanspruchen.
Um die Rahmenbedingungen für elektronische Prüfungen zu schaffen, ist darüber hinaus noch ein hoher technischer und finanzieller Aufwand zu bewältigen. Von der Ausstattung der Universitäten bzw. Prüfungsämter mit PC-Pools bis hin zur Betrugssicherheit beim Verfassen und bei der Korrektur – die Liste ist lang. Und das Thema einer bundesweiten Vereinheitlichung dürfte zusätzlich auf politischer Ebene für reichlich Gesprächsstoff sorgen.
Neue Schwerpunkte in der Ausbildung
Bevor das digitale Examen kommt, wäre viel eher wünschenswert, die Juristenausbildung vermehrt zu digitalisieren. Schließlich geht es nicht nur um das Thema Prüfungen, sondern das Studium insgesamt. Um die künftige Arbeitswelt der Juristen besser an den Universitäten abzubilden, bedarf es dringend neuer Inhalte, welche Studierenden konkrete digitale Kompetenzen vermitteln. Vorstellbar wären in diesem Zusammenhang auch ganz neue Formen der Prüfung. Dann würde die Einführung der E-Klausur noch weit mehr Sinn ergeben.