Wo klemmt es im gehypten Markt?

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Wo klemmt es im gehypten Markt?

Wo klemmt es im gehypten Markt?

Quelle: istock/sureeporn

Im Eldorado

Getrieben vom Rückenwind der sich beschleunigenden technologischen Entwicklung könnten die Bedingungen für Legal Tech Firmen kaum besser sein: 

  • Der globale Markt für Rechtsdienstleistungen wird dieses Jahr auf über 700 Milliarden Dollar geschätzt, Tendenz steigend
  • Die traditionellen Anbieter – Anwaltskanzleien – stehen sind unter Druck, ihre Dienstleistungen effizienter zu erbringen. Der Markt ist zum Buyers’ Market geworden. Kunden verlangen «more for less». 
  • Die Bandbreite möglicher Legal Tech Lösungen, dank denen Kunden mehr für weniger erhalten können, reicht weit. 
  • Legal Tech ist global einsetzbar, unabhängig vom anwendbaren Recht. Sprachgrenzen mögen die Vermarktung von Produkten bremsen, sind aber überwindbar. 
  • Um das Eldorado für Legal Tech Firmen komplett zu machen: Das Feld der Wettbewerber ist überschaubar, zwischen den Anbietern gibt es jede Menge Platz. 
  • Legal Tech ist hip: Es gibt Legal Tech Associations und immer mehr Konferenzen und Hackathons, die Fachpresse überschlägt sich mit Meldungen und Erfolgsgeschichten und für die Millenials im Talentpool ist der Legal Tech Nerd «the new cool». 

Kein Wunder also, dass in den letzten Jahren Start-ups in dem Bereich wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Ein Hauch von Klondike weht über der Szene. Zu den globalen Hubs gehören London, San Francisco und New York, aber auch Toronto, Atlanta, Belfast, Singapur, Hong Kong, Kuala Lumpur, Tel Aviv, Berlin und Tallinn. Bei aller Euphorie: Das Stück, das Legal Tech vom gigantischen Kuchen des globalen Rechtsmarkts 2019 erhalten wird, schätzen Experten auf lediglich 5 Milliarden Dollar. Das ist ein Krümel von weniger als einem Prozent, das zum aktuellen Hype in keinem Verhältnis steht. Warum erobert Legal Tech den Markt nicht schneller? Warum ist das Kuchenstück nicht grösser?

Die Anbieter und ihre Produkte 

Legal Tech Firmen gibt es zwar viele, erfolgreich sind aber nur wenige.

  • Die Ausfallsquote von Start-ups liegt branchenübergreifend bei mindestens 75%. 
  • Hinter manch eindrücklich gestalteter Website findet sich zu wenig Substanz, zu wenig Kapazität, zu wenig Arbeits- und Wissenskraft; der Bereich bietet auch wenig Qualifizierten die Chance, für kurze Zeit ins Rampenlicht zu treten.
  • Gute Ideen und Konzepte garantieren noch keinen Erfolg. Entscheidend ist deren Umsetzung: execution is everything! Dazu gehört die Vermarktung der Produkte, mit der sich Legal Tech Firmen schwer zu tun scheinen (Baretz+Brunelle, Boom or Bust, The 2018 Legal Tech Go-To-Market Report).
  • Nur wenige Produkte sind mittels «plug and play» mühelos zu installieren, sodass sie sofort Nutzen bringen.
  • Die Einführung von Legal Tech Lösungen ist typischerweise mit erheblichem Aufwand verbunden: Auswahl des richtigen Anbieters, Verhandlungen, Proof of Concept (Beleg der Durchführbarkeit), Anpassung an spezifische Bedürfnisse, Tests, Roll-out, Schulung der Benutzer, usw.
  • Begleitende inhaltliche Arbeit ist unabdingbar: Durchsicht aller einzuspeisenden Kontakte bei der Einführung eines CRM, Füttern eines AI-unterstützten Systems mit einer grossen Menge von Daten, Erarbeitung von Templates und Standards oder Durchsicht von Dokumenten in Verbindung mit der Einführung eines Knowledge Management Systems oder der Automatisierung von Dokumenten. 

Die Kunden

Die wichtigsten Abnehmer und Anwender von Legal Tech sind  Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen. Bei beiden entscheiden damit Juristen, ob und in welche Produkte investiert wird – eine Situation, die sich für die Anbieter als schwierig erweist, da grössere Investitionen den zu verteilenden Gewinn schmälern.

  • Da Geschäftsmodell von Kanzleien ist auf «billable hours» ausgerichtet, was seit Jahrzehnten hervorragend funktioniert. Es besteht wenig Druck, den Einsatz von Legal Tech voranzutreiben und  Arbeitsabläufe und Prozesse zu hinterfragen, was möglicherweise die verrechenbaren Stunden und damit die Profitabilität schmälern würde. Das käme einer Revolution des Systems gleich.
  • Das Management von Kanzleien – typischerweise zusammengesetzt aus Partnern mit florierender eigener Beratungstätigkeit – hat nicht genug Zeit, sich mit weitreichenden technischen Neuerungen und deren Implementierung auseinanderzusetzen.
  • Sind Tools schliesslich implementiert, ist noch nicht sichergestellt, dass sie auch gebraucht werden. Ein Projekt kann dann still versanden, die Lizenzgebühren laufen weiter.
  • Niemand will vorpreschen: Auch andere Kanzleien sowie die Rechtsabteilungen von Unternehmen bewegen sich in dem Bereich langsam. Warum also vorpreschen, um als erster mit Mühe den Boden zu bereiten?

Was dies bedeutet

Rosige Aussichten, sprich viel Arbeit für Legal Tech Anbieter mit einem guten, branchenerfahrenen Team und einfach zu bedienenden, benutzerfreundlichen Produkten, die sich offensichtlich profitabilitätssteigernd auswirken (oder zumindest den Abnehmer gegenüber Klienten sowie als potenzieller Arbeitgeber für neue Talente gut aussehen lassen). Wer zudem über eine durchdachte Go-to-Market Strategie verfügt und tadellos implementieren kann, dem sind im Eldorado kaum Grenzen gesetzt. Auf der anderen Seite sind Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen gut beraten, hinter die glitzernde Website- und Demo-Kulisse von Legal Tech Anbietern zu schauen und kritische Fragen zu stellen: Ist genügend Kapazität, Substanz und Know-how vorhanden? Hat dieser Anbieter Zukunft? Sind die angebotenen Produkte bereits brauchbar oder erst Beta-Rohlinge? Wie sieht die Implementierung aus? Welche vorbereitenden und begleitenden Arbeiten, welche Änderungen von Arbeitsabläufen werden notwendig? Brauchen wir das Produkt wirklich oder können wir das gleiche Ziel auch mit anderen Mitteln und bereits verfügbaren Tools erreichen? Sollen wir jetzt investieren oder abwarten, bis die Entwicklung weiter vorangeschritten ist?

Wie die Antworten auf diese Fragen auch ausfallen: Eine Kultur der Zusammenarbeit und des Teilens, die disziplinierte Daten- und Dokumentenpflege und die stete Optimierung von Arbeitsabläufen sind noch wichtigere Erfolgsfaktoren als die Anschaffung der neusten Legal Tech Produkte.