Wie auch kleinere Kanzleien von der Digitalisierung profitieren

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Wie auch kleinere Kanzleien von der Digitalisierung profitieren

Kleine Kanzleien

Quelle: istock

Legal Innovation scheint überall zu sein – doch der Schein trügt

Wenn man sich mit Themen wie Legal Tech und Legal Innovation beschäftigt, kann man schnell den Eindruck gewinnen, der Rechtsmarkt werde von Grund auf umgekrempelt und die digitale Transformation schreite unaufhaltsam voran. Diverse Konferenzen und Events drehen sich um Automatisierung, KI, Blockchain und Legal Design. Immer wieder tauchen neue Tools auf, welche die anwaltliche Arbeit erleichtern und verbessern sollen. Es werden Innovation Hubs gegründet und Grosskanzleien profilieren sich mit eigenen Legal Tech Labs, die zur Gestaltung neuer Lösungen für ihre Mandanten dienen sollen.

Bei genauerem Hinsehen stellt man allerdings fest, dass sich hier vor allem die Big Player der Rechtsberatung an vorderster Front platziert haben. Kleinere und mittelständische Kanzleien mischen weitaus seltener mit bei der Implementierung der neusten Technologien.

Digitalisierung führt zu gesteigerten Erwartungen bei Nachwuchs und Mandanten

Es sind aber gerade die kleineren und mittelständischen Kanzleien, die bereits unter dem Druck des digitalen Wandels leiden. Denn dieser hat vor allem zu einem geführt: veränderten Erwartungshaltungen. Zum einen beim juristischen Nachwuchs, der sich immer seltener für den Berufsweg der Anwaltschaft entscheidet (zu wenig innovativ, nicht digital genug, unattraktive Arbeitszeiten). Dies führt zwangsläufig zu Nachwuchsproblemen, die mittlerweile sogar Grosskanzleien, obwohl sie mit höheren Einstiegsgehältern locken, spüren. 

Zum anderen erwarten auch Mandanten gewisse Anpassungen – und das zurecht. Menschen suchen rechtlichen Rat zunehmend dort, wo sie auch sonst ihre Fragen stellen, nämlich im Internet. So entstehen neben der klassischen anwaltlichen Beratung neue Angebote wie Legal Tech Portale, die intuitiv nutzbar und nur im Erfolgsfall kostenpflichtig sind. Und auch im Rahmen der Mandatsbetreuung wird ein höheres Service Level gefordert; die vollkommen analoge Aktenführung wirkt zunehmend wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Gerade die Auswirkungen der Corona-Krise haben gezeigt, dass sich Agilität und eine digitale Arbeitsweise hinsichtlich der schnellen Anpassungsfähigkeit an neue Begebenheiten nicht nur lohnen, sondern unabdingbar werden.

Wie gelingt Digitalisierung für kleinere Kanzleien?

Es wirkt, als hätten manche Kanzleien den Schritt in die Digitalisierung aufgegeben. Dabei zeigt sich gerade in kleineren und mittelständischen Kanzleien, dass dieser Pessimismus absolut nicht notwendig ist. Als besonders fortschrittlich und innovativ haben sich bisher nämlich vor allem Boutiquen gezeigt, die es in ihrem Beratungsfeld wiederum mit Branchen zu tun haben, die selbst Vorreiter in Sachen Digitalisierung sind. Es dürfte also gar nicht so sehr auf die Grösse der Kanzlei anzukommen, sondern vielmehr auf die (gedankliche) Offenheit für neue Herangehensweisen und Technologien. Dabei äussern besonders kleinere Kanzleien die Sorge, sich eine aufwändige IT-Integration ohnehin nicht leisten zu können und verbleiben dann lieber bei alten Mustern.

Ideen und Massnahmen, durch die Innovationsvorhaben leichter umgesetzt werden können

  1. Im ersten Schritt den Status Quo festhalten
    Ausgangspunkt jedes Innovationsvorhabens sollte zunächst sein, sich einen guten Überblick darüber zu verschaffen, wie der Status Quo der Kanzlei aussieht. Dazu empfehlt es sich zunächst einmal, zu reflektieren: Wo liegen aktuell die Stärken der Kanzlei? Worin würden wir uns selbst als Experten bezeichnen? Wo liegen unsere Schwächen? Was können wir aktuell nicht gut abbilden oder in welchen Punkten ist uns sogar schon Kritik bekannt? Was schätzen Mandanten heute an uns und warum? 
    Absolut ehrlich mit sich selbst zu sein, kann unangenehm werden. Wir neigen dazu, einen Kritikpunkt direkt mit einer Erklärung zu verbinden. Das ist völlig normal und auch nicht schlimm. Je mehr ich mir über die Ursachen meiner Unzulänglichkeiten bewusst bin, desto besser kann ich sie lösen.

  2. Mandanten richtig verstehen
    Um die eigene Leistung einordnen und verbessern zu können, ist es auch erforderlich, die eigenen Mandanten und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Sicherlich können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dabei auf einen grossen Erfahrungsschatz aus ihrer Beratungstätigkeit zurückgreifen. Dennoch lohnt es sich, für Innovationsvorhaben diese Erkenntnisse zu sammeln und gegebenenfalls Annahmen zu hinterfragen: In welcher Situation kommen Mandanten in der Regel zu mir? Welche Form der Beratung oder Tätigkeit wird häufig nachgefragt und was wünschen sich Mandanten von mir?
    Bei dieser Analyse kann und sollte auch auf Rückmeldungen durch ehemalige Mandanten zurückgegriffen werden, denn es handelt sich um wertvolles Feedback. Möglicherweise erkennt man, dass das rechtliche Problem regelmässig nur Teil einer komplizierten Gesamtsituation ist, die besser einbezogen werden sollte oder dass negative Kritik häufig dieselben Punkte betrifft. Vor allem aber sollte man sich an dieser Stelle fragen: Passt die Leistung, die ich anbiete, zu dem, was von der Mandantschaft gewollt ist? Sollte dies nicht der Fall sein, muss entweder die Leistung angepasst werden oder man herausfinden, wo und wie Mandanten akquiriert werden können, welche diese Leistung tatsächlich benötigen.

  3. Prozesse beleuchten von Mandatsakquise bis Rechnungsstellung
    Bei der Umstellung auf digitale Prozesse wird häufig der Fehler gemacht, dass man den aktuell analogen Vorgang direkt überträgt und digitalisiert. Dadurch nimmt man sich die Chance, die ohnehin stattfindende Transformation dafür zu nutzen, Prozesse zu überdenken und zu verbessern, denn möglicherweise sind diese bereits an sich nicht nutzerfreundlich. Insbesondere, wenn mehr als eine Person an Vorgängen beteiligt ist, schleichen sich schnell Ineffizienzen ein (z.B. Korrekturen an Entwürfen, die gleichzeitig an verschiedenen Stellen im Umlauf sind). Hier lassen sich «pain points», aber auch Potenzial für Digitalisierung oder sogar Automatisierung erkennen. Grundsätzlich gilt, dass Prozessschritte, die immer wieder gleichartig vorkommen, standardisierbar und dadurch auch automatisierbar sein könnten. Nicht alle diese Möglichkeiten erfordern es, durch ein IT-Team gebaut zu werden. Viele Tools gibt es bereits am Markt, sodass sie eingekauft werden können. Das sollte aber erst geschehen, wenn man sich über den Mehrwert, den sie bringen, tatsächlich klar ist.

  4. Innovation ist auf jeder Prozessebene möglich
    Innovation und Digitalisierung bedeuten nicht immer, dass die gesamte Belegschaft in agilen Teams arbeitet, zu morgendlichen «Stand-ups» zusammenkommt und für mehrere hunderttausend Euro ein neues IT-System gebaut wird. Verbesserungen lassen sich vielmehr durch eine vorab sorgsam durchgeführte Analyse von eigener Leistung, Mandantenbedürfnissen und Prozessen auf jeder Ebene verwirklichen.

Einen ersten Ansatzpunkt bietet hier die Mandatsakquise. Wenn ich weiss, wonach meine potenziellen Mandanten suchen und wo, kann ich die Akquise oftmals verbessern. Bereits die grafische Überarbeitung der Kanzleiwebsite oder deren Texte, um diese für Suchmaschinen wie Google zu optimieren, kann einen Unterschied machen. Denkbar ist es auch, andere Interaktionspunkte etwa über Social Media zu aktivieren. Hier kann man seine Expertise ohne enorme Marketingkosten zeigen, z.B. über einen Youtube-Kanal oder eine regelmässige Kolumne, und so frühzeitig Mandanten ansprechen und gewinnen. Ebenfalls denkbar ist es, Mandanten über Fachkonferenzen und Vorträge zu erreichen und über solche Anlässe auf digitalen Kanälen zu informieren.

Eine weitere Quelle für Innovationen bildet die Kommunikation mit meinen Mandanten. Schleppende, schwer verständliche Kommunikation ist einer der wesentlichen Kritikpunkte, die sich Anwälte und Anwältinnen entgegenhalten lassen müssen.

Möglicherweise helfen hier feste Zeiten, die klar kommuniziert werden und zu denen man zuverlässig erreichbar ist. Ausserdem kann erläuterndes Informationsmaterial angefertigt werden, wenn man feststellt, dass gewisse Fragen regelmässig um ähnliche Themenblöcke kreisen. Unbedingt zu empfehlen ist es, einen strukturierten Prozess für die Bearbeitung von E-Mails einzuführen, denn wenig ist frustrierender, als tagelang auf eine Antwort zu warten.

Natürlich birgt vor allem die Mandatsbearbeitung Potenzial für Verbesserungen. Prozessoptimierungen können durch die sorgsame Analyse der eigenen Prozessschritte bereits ohne den Einsatz von Tools erreicht werden. Zusätzlich können durch sinnvoll eingesetzte Tools aber ebenfalls spürbar Erleichterungen herbeigeführt werden. Hier haben sich schon allgemeine Kollaborations-Tools bekannter Softwarehersteller bezahlt gemacht, die es einer Gruppe ermöglichen, gleichzeitig an einem Dokument zu arbeiten. Selbstverständlich gibt es auch noch speziellere Programme, die ausschliesslich für die juristische Arbeit konzipiert wurden.

Sollten sich gewisse Dokumente, z.B. Vertragsvorlagen, häufig wiederholen, sollte eine Kanzlei nicht vor Dokumentenautomatisierung zurückschrecken. Auch hier gibt es bereits viele Möglichkeiten auf dem Markt. Wer selbst erste Programmierkenntnisse vorzuweisen hat, kann auch versuchen, Dokumente mithilfe von bekannten Softwareprogrammen zu automatisieren.

Zuletzt sollte man auch das Pricing anschauen. Jedenfalls im aussergerichtlichen Bereich sind gewisse Spielarten möglich. Von der «billable hour» oder den gesetzlichen Gebühren werden sich viele aus gegebenen Gründen nicht gänzlich verabschieden wollen. Dennoch lohnt sich ein Blick darüber hinaus: Kostentransparenz kann verbessert, eine Deckelung vereinbart werden oder man bietet direkt einen Festpreis an. Denkbar wäre, die Leistung in verschiedene «Pakete» zu unterteilen. Kreativität ist hier gefragt und manche Experimente können sich bspw. dadurch lohnen, dass man sich von den Mitbewerbern abhebt.

Digitalisierung ist mehr als IT

Sicherlich ist es langfristig sinnvoll, ganz grundsätzlich Prozesse zu digitalisieren und auf entsprechende Programme umzusteigen. Doch auch diese Transformation kommt nicht ohne eine gründliche Analyse auskommt. Digitalisierung erfordert nicht nur aufwändige und kostspielige IT, sondern setzt wesentlich früher an. Viele Innovationen lassen sich bereits ohne jahrelange Transformationsprozesse umsetzen und können für kleine und mittelständische Kanzleien grosse Chancen bieten.