Rechtsberatung im Wandel

Rechtsberatung im Wandel

Quelle: istock/pattanaphong_khuankaew

Bestandsaufnahme

Der Trend, durch Digitalisierung die Effizienz von Dienstleistungen zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten zu senken, macht auch vor den freien Berufen nicht halt (vgl. Frank Nestmann et al. 2013). Deregulierungsvorhaben (vgl. WIFO-Studie Österreich 2025) sehen in der Digitalisierung eine Chance auf Wachstumsförderung der Wirtschaft. Auch seitens der EU finden solche Vorstösse Zuspruch. Der Digitalisierungsstudie 2017 von Lexis Nexis zufolge sehen sich in der Rechtsbranche die traditionellen Anbieter neuen Mandantenforderungen gegenüber. Diese erwarten aufgrund des Technologiefortschritts ein effektiveres und billigeres Arbeiten und greifen auch auf neue Angebote (z.B. automatisierte Rechtsberatung auf Websites etc.) zurück. Online-Plattformen, die Rechtsberatung anbieten, schiessen aus dem Boden und signalisieren, dass es zum Wohl der Klienten ist, auf solch einfachem Weg günstig oder gratis Rat zu erhalten. Doch sind es tatsächlich die Klientin und der Klient, zu deren Vorteil die Digitalisierung genutzt wird?

Wer profitiert?


Wie zuverlässig ist die Rechtsberatung im Netz? Wie stellt man fest, wie sicher und glaubwürdig die digital erhobenen Daten sind? Wer entscheidet, welche Daten in eine Datenbank integriert werden? Wer trägt die Verantwortung für die digitalen Datenrecherchen? (vgl. Ersetzt der Programmierer bald den Anwalt – https://presse-nachrichten.com/2016/12/20/ersetzt-der-programmierer-bald-den-anwalt/ vom 20.12.2016). Hier besteht noch viel Aufholbedarf, um eine Online-Media-Literacy sowohl bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten als auch bei Klientinnen und Klienten zu schaffen. Umso wichtiger ist es, dass sich die Anwaltschaft bei solchen Trends früh positioniert – auch gegenüber den Klientinnen und Klienten, welche das Angebot auf Plattformen dem persönlichen Kontakt gegenüberstellen. Erstere sind oft nur vermeintlich kostenfrei oder widersprechen gar den Regelungen der Rechtsanwaltsordnung (Stichwort Winkelschreiberei). Ausser Acht bleibt meist der Aspekt, wer von den Daten, die auf solchen Plattformen gesammelt werden, profitiert.


Wissenschaftliche Studien? – Fehlanzeige 


Derzeit fehlen fundierte Antworten auf die Frage, welche Vorteile die Digitalisierung für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bieten kann. Und wohl noch wichtiger ist die Beantwortung der Frage nach der Zuverlässigkeit von Online-Rechtsberatung für Klientinnen und Klienten. Gerade in diesem Bereich liegt eine «Terra incognita» vor, da wissenschaftliche Studien zu einer gesamtheitlichen Betrachtung fehlen oder sich nur mit einzelnen Teilaspekten beschäftigen. Umso wichtiger ist es, dass bei der Planung der Digitalisierung (nicht nur) im Rechtsbereich die Thematik ganzheitlich betrachtet wird und konkret danach gefragt wird, ob Online-Rechtsberatung genauso gut wirkt wie die persönliche. Remus und Levy (zitiert in der Digitalisierungsstudie von Lexis Nexis 2017, 9) schätzen, dass nur bei 13 % der juristischen Arbeiten eine hohe Chance für Automatisierbarkeit besteht; trotzdem setzt die Industrie enormen Druck auf, die Digitalisierung voranzutreiben. Umso wesentlicher ist es, sich damit auf wissenschaftlicher Basis (um auch die Diversität nicht zu verlieren) zu beschäftigen. Gerade bei komplexen Rechtsthemen ist es unwahrscheinlich, diese jemals ohne Informations- und Qualitätsverlust 1:1 digital abbilden zu können. Ferner hinken Rechtskonstrukte in vielen Bereichen dem Stand der Technik hinterher. In der WIFO-Studie Österreich 2025 heisst es dazu: «Der durch unzählige Novellen unübersichtliche Rechtsbestand stellt keine taugliche Ausgangsbasis für eine Reform dar.» Reine Rechts-Onlineberatung (vgl. Sabine Schuh, 2014) wird besonders bei hochkomplexen Themen kritisch gesehen. 

Conditio sine qua non

 
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte müssen sich überlegen, welche Dienstleistungen sie in Zukunft persönlich bzw. digital anbieten. Die Legal Tech Whitepaper & Digitalisierungsstudie 2017 (Lexis Nexis 2017) hatte zum Ziel, einen Überblick über technologische Trends und Zukunftsentwicklungen der Rechtsbranche zu geben. Unter anderem wurden die Erwartungen der Klientinnen und Klienten abgefragt: 68 % können sich vorstellen, eine automatisierte Rechtsberatung zu nutzen, die anhand ihrer Eingaben rein von einem Computer generiert wird! Ferner meinten zwei Drittel der Befragten, dass sie sich eine computergenerierte Rechtsberatung als Alternative zum Anwalt (wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen) vorstellen können. Diese Entwicklungen geben Anlass, dass sich die Rechtsanwaltschaft mit diesen Themen intensiv beschäftigt. Eines ist klar: Die Einführung digitaler Rechtsdienstleistungen ist nur unter frühzeitiger Einbindung der Rechtsanwaltschaft sinnvoll, um die unabhängigen Interessen der Klientinnen und Klienten weiterhin schützen und so die Rechtsstaatlichkeit gewährleisten zu können. Technik und Digitalisierung können nur eine Teilmenge der rechtsanwaltlichen Tätigkeit sein und nicht umgekehrt! Die Empfehlung lautet daher, sich dem Thema Digitalisierung ganzheitlich zu nähern und alle Rahmenbereiche (wirtschaftliche, soziale, rechtliche, technische Möglichkeiten) miteinzubeziehen (vgl. Schuh, 2014) mit besonderem Augenmerk auf den derzeitigen Rechtslagen, die teilweise einem Agieren im digitalen Bereich widersprechen. 

 

Klienten im Fokus


Kommunikation und Beratung wenden sich an Menschen. Besonders bei hochkomplexen Themen hat die persönliche Komponente des Vertrauens stabilisierende Wirkung (vgl. Ralf Reichwald et al, Media Richness-Modell 1998, in Nicola Döring, 2003). Denn am Ende des Tages sind es Werte, die unsere Gesellschaft und das Menschsein ausmachen. Viktor Frankl meinte: «Werte kann man nicht lehren, sondern nur vorleben.» Werte kann man vermutlich auch nicht programmieren. Daher wird die Rechtsberatung, in deren Zentrum die Vertraulichkeit steht, weiterhin ein People Business bleiben, das durch Informations- und Kommunikationstechnologie unterstützt wird und damit der Rechtsanwältin/dem Rechtsanwalt mehr Zeit für die «Arbeit am Menschen» lässt. 


Quellen:


Michael Böheim/Eva Pichler, WIFO-Studie Österreich 2025:Wettbewerb, Bürokratie und Regulierung, Wien 2016.
Nicola Döring, Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. 2. A., Bern 2003.
LexisNexis Whitepaper, Digitalisierung der Rechtsbranche, Wien 2017.
Thomas Mayer, EU-Vorsitz: Digitales Leben bekommt Priorität, in Der Standard am 1./2.7.2017. 
Frank Nestmann/Frank Engel/Ursel Sickendiek (Hrsg.), Das Handbuch der Beratung. Band 3. Neue Beratungswelten. Fortschritte und Kontroversen, Tübingen 2013. 
Christian Pfeifer, Ersetzt der Programmierer bald den Anwalt?, auf Presse-Nachrichten.com, ‹https://presse-nachrichten.com/2016/12/20/ersetzt-der-programmierer-bald-den-anwalt/› vom 20.12.2016.
Sabine Schuh, Beratungskommunikation im Wandel. Vom «People Business» zum «Blended Counseling»?, Abstract abrufbar unter: ‹http://ffhoarep.fh-ooe.at/bitstream/123456789/383/1/FFH2015-WIWI2-3.pdf›, (erweiterte Publikation in Vorbereitung).