In den letzten Jahren wird vor allem über die hohen Kosten von Zivilprozessen und die Überlastung der Gerichte debattiert. Auf ein Rechtsinstitut, welches Abhilfe schaffen könnte, wird dabei weitgehend vergessen: das Schiedsgutachten.
Vielfältige Ursachen für die geringe Anwendung
Das Schiedsgutachten wird bereits in der Lehre den Studierenden kaum erörtert und mit auf den Weg in die praktische Tätigkeit gegeben. Zudem ist es in der Zivilprozessordnung (ZPO) unter die Beweismittel eingereiht und hat in vielen Kantonen keine Tradition. Und: Das Schiedsgutachten dient der Prozessvermeidung oder der Prozessvereinfachung und wirkt gegen die Überlastung der Gerichte. Es trägt zur Kostensenkung bei und entlastet die Gerichte.
Unabhängig vom ehemals kantonalen Zivilprozessrecht entwickelte das Bundesgericht das Schiedsgutachten als eigenständiges Institut des Bundesrechts. Nicht etwa des Bundeszivilprozessrechtes, sondern des materiellen Bundesrechts. Dem tut keinerlei Abbruch, dass das Schiedsgutachten insofern prozessrechtliche Wirkungen hat, als die behandelten Tatsachen auch für das Gericht ausser Streit gestellt sind. Das zeigt, dass die systematische Einordnung des Schiedsgutachtens in die Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 kaum richtig war. Insbesondere ist die Eingliederung in deren Beweisrecht (Art. 150–193 ZPO) bzw. Beweismittelrecht (Art. 168–193 ZPO) verfehlt. Denn das Schiedsgutachten ist weder formelles Recht noch Beweismittelrecht, es ist insbesondere kein Beweismittel. Ein Gericht kann die Feststellungen eines Schiedsgutachtens grundsätzlich nicht überprüfen. Dies würde denn auch seinem Sinn und Zweck widersprechen, denn es geht um etwas anderes, nämlich um die verbindliche Feststellung von rechtserheblichen Tatsachen durch eine Drittperson.7 Gesetzgeberisch würde dies aus den erwähnten Gründen zumindest einen eigenen Titel in der ZPO rechtfertigen.
Prozessvermeidung und Prozessvereinfachung
Die Prozessvermeidung ist gewährleistet, wenn vor Rechtshängigkeit eines Prozesses ein Schiedsgutachtenvertrag abgeschlossen wird. Dies kann vorsorglich schon im Rahmen eines ursprünglichen Vertrages (z.B. Kaufvertrag, Werkvertrag) im Hinblick auf einen allfälligen Streit zwischen den Vertragsparteien oder erst später nach Entstehen von Meinungsverschiedenheiten getroffen werden. Beides dient der Prozessvermeidung. Anstelle eines Prozesses wird ein Schiedsgutachten erstellt.
Ein Schiedsgutachtenvertrag kann auch nach Rechtshängigkeit des Verfahrens vor der Schlichtungsbehörde oder dem Gericht abgeschlossen werden. Dies soll während des sog. Vorverfahrens oder dem Hauptverfahren, jedoch vor Beginn des Beweisverfahrens erfolgen. Zwar obliegt der Abschluss eines Schiedsgutachtenvertrages den Parteien. Doch die Sühnebehörden und vor allem die Gerichte können dies anregen bzw. vorschlagen. Sie sollten dies vermehrt tun. Sie können sich derart den vielmals erheblichen Aufwand für das Beweisverfahren (Beweisverfügungen, Beweisabnahmen samt allfälliger Beweisverweigerungen, Beweiswürdigung usw.) ersparen; dies bildet gerade in Zeiten der Überlastung der Gerichte einen zu beachtenden Faktor. Den Parteien fallen zwar die Kosten für den Schiedsgutachter an, durch Vereinbarung eines Schiedsgutachtens entfallen jedoch merkliche Ausgaben für Anwaltskosten (Beweiseingaben, Beweiseinwendungen, Eingaben zur Beweiswürdigung usw.) und die Gerichtskosten dürften tiefer ausfallen. Auch in zeitlicher Hinsicht ergibt sich i.d.R. ein Gewinn, sind doch vor allem bei grösseren Prozessen gerichtliche Beweisverfahren erfahrungsgemäss sehr zeitintensiv.
Wirkung und Anfechtungsgründe
Das Entscheidende besteht darin, dass Schiedsgutachten nicht nur für die Parteien, sondern auch für die Gerichte verbindlich sind. Das Gericht darf mit Bezug auf die festgestellten Tatsachen kein Beweisverfahren durchführen. Eine Beweiswürdigung des Schiedsgutachtens durch das Gericht ist ausgeschlossen. Dasselbe gilt auch für eine gerichtliche Erläuterung oder Ergänzung des Schiedsgutachtens.
Das Schiedsgutachten hat gewisse rechtsstaatliche Mindestanforderungen zu erfüllen. Ferner darf es nicht offensichtlich unrichtig sein. Der Nachweis dafür ist in demjenigen Prozess zu erbringen, in dem das Schiedsgutachten eingebracht wird. Es ist keine eigene Feststellungsklage zu erheben. Diese beschränkten Anfechtungsgründe dürften den Entschluss bestärken, im Einzelfall einen Schiedsgutachtenvertrag abzuschliessen. Denn auch die Beschränkung der Anfechtungsgründe wirkt kostensparend.