
Nicolas Zahn ist digitaler Transformist. Er hilft als Analyst, Berater und Vermittler mit seiner Expertise Unternehmen und Organisationen dabei, das Potenzial der Digitalisierung freizusetzen. An der SWISS LEGAL TECH CONFERENCE moderiert er ein Panel zum KI-Standort Schweiz. Wir haben uns natürlich intelligente Fragen an ihn überlegt.
Wie steht die Schweiz in der KI Entwicklung da im internationalen Vergleich?
Nicolas Zahn: Sie verfügt im Bereich Forschung über eine sehr gute Ausgangslage. Unsere Universitäten ziehen international Top-Forschende an und bilden diese aus. Das ist auch den grossen Tech-Konzernen nicht entgangen, welche in der Schweiz entsprechende Forschungsniederlassungen gegründet haben. Dieses Potenzial in erfolgreiche grosse Unternehmen zu übersetzen bleibt aber eine Schwierigkeit auf Grund des kleinen Marktes und Risikokapitals, dass sich nicht mit dem Silicon Valley vergleichen lässt. Bezüglich Regulierung nimmt die Schweiz eine eher zurückhaltende Haltung ein, was aber angesichts der grossen Dynamik in diesem Bereich nicht nur schlecht sein muss. Es macht aber die Ausgangslage für Firmen, die über den Einsatz von KI – insbesondere wenn es um Einsätze auch ausserhalb der Schweiz geht – anspruchsvoll.
Wer ist Vorreiter beim Einsatz von KI im Legal-Bereich und sollten wir uns daran orientieren?
Nicolas Zahn: Generell würde ich davon abraten Entwicklungen, 1:1 zu kopieren, denn der Einsatz digitaler Technologien vollzieht sich nicht in einem Vakuum, sondern muss immer in den entsprechenden nationalen Kontext eingebunden werden. Das angelsächsische Rechtssystem unterscheidet sich ja beispielsweise grundlegend von Schweizerischen, weshalb z.B. eine amerikanische Lösung nicht einfach kopiert werden kann. Was sich aber vom Ausland abschauen lässt, ist eine Innovationskultur sowie der Fokus auf digitale Infrastruktur.
Wie ist Ihre Meinung zu Regulierungen von KI?
Nicolas Zahn: Ich finde es sinnvoll zu schauen, welche bestehenden Gesetze auch auf KI angewendet werden sollen und dort nachzubessern, wo es Lücken im Schutz für Bürger*innen gibt. Nachdem das gesamte Themenfeld der digitale governement leider sehr lange stiefmütterlich behandelt wurde und zu wenig Aufmerksamkeit genoss, stelle ich jetzt eher eine Überaktivität fest. Im komplexen Dickicht aus verschiedenen Regeln, Abkommen und Frameworks ist es zunehmend schwierig, den Überblick zu behalten. Auf internationaler Ebene wird Regulierung auch oft als Innovationsbremse gesehen. Das scheint mir eine zu vereinfachte Sichtweise. Es ist überhaupt nicht so, dass man nur die Wahl hat nicht zu regulieren und dafür Innovation zu haben oder zu regulieren und damit Innovation zwangsweise abwürgt. Es braucht einen differenzierten Ansatz, wofür sich auch Stimmen aus der KI-Forschung selbst aussprechen.
Legal Tech ist mehr als Tools und Anwendungen: Legal Tech ist ein Mindset. Es ist nicht die Frage, ob, sondern wie die innovativen Möglichkeiten einzusetzen sind. Richtig?
Nicolas Zahn: Das würde ich so unterschreiben. Wichtig hierfür ist, möglichst schnell auf allen Ebenen ein gutes Verständnis für die Technologie zu bekommen. Sich den Entwicklungen zu verschliessen wäre der falsche Ansatz. Man sollte offen dafür sein zu testen, welche Arbeitsschritte durch digitale Werkzeuge evtentuell besser ausgeführt werden können. Dafür braucht es zunehmend interdisziplinäre Profile.
Mit Ihrer Expertise helfen Sie, das Potenzial der Digitalisierung freizusetzen und Organisationen von 0 auf 1 zu bringen. Was ist dafür in der Regel nötig und gibt es gewisse allgemeine Schritte, die derzeit jede Organisation dafür tun muss?
Nicolas Zahn: Die Technologie ist für die meisten der Einstiegspunkt, denn sie ist das, was man in den Medien sieht und was das Interesse weckt. Der Schlüssel liegt aber meist in den «langweiligeren» Aspekten: Welche Prozesse und Geschäftsmodelle haben wir? Wie sieht unsere Fehlerkultur aus? Wirklich spannend wird es, wenn man sich den Freiraum gibt, neu zu denken, wie man seine Leistungen heute erbringen möchte und was neue Kundenbedürfnisse sein könnten. Die konkrete technische Implementation kommt danach. Viele Digitalprojekte scheitern, weil diese strategischen Fragen am Anfang des Prozesses vernachlässigt werden. Vereinfacht gesagt: Ein tolles teures KI-System hilft ihnen nicht, wenn sie keine Datenstrategie haben und eine Automatisierung bringt ihnen wenig, wenn die Mitarbeitenden trotzdem immer noch mit vielen Systembrüchen und komplizierten Prozessen beschäftigt sind.
Würden Sie uns Ihre Beobachtungen vom Legal Tech Alltag in Kanzleien 2025 schildern?
Nicolas Zahn: Generell lassen sich aus Beobachtungen in anderen Branchen gewisse Muster identifizieren, die dem Gartner Hype-Cycle folgen: Nach den ersten meist übertriebenen Hoffnungen stellt sich schnell Ernüchterung ein, bis man herausgefunden hat, wie man die Technologie produktiv und verlässlich einsetzen kann. Was man auch sieht, ist ein Hang zu Kommodifizierung von Standard-Rechtsprodukten dank den digitalen Technologien, dass z.B. ein erster Entwurf für einen Aktienkaufvertrag in einem Online-Shop gekauft werden kann oder eine Datenschutzerklärung nach Beantwortung von gewissen Fragen automatisch erstellt wird. Andererseits eröffnet Legal Tech die Möglichkeit, anstatt der klassischen Anwaltskarriere nun ein Start-up zu gründen, z.B. für maschinenlesbare Gesetze.
Wann haben Sie persönlich begonnen, sich für den Bereich Legal Tech zu interessieren und was würden Sie angehenden angehenden Juristinnen und Juristen diesbezüglich raten?
Nicolas Zahn: Mir ist im Studium aufgefallen, dass es zwischen Informatik und den Rechtswissenschaften viele Parallelen gibt. Es geht oft um strukturelles Denken und das Verarbeiten von grossen Datenmengen. Konzeptionell gibt es seit den 90ern auch interessante Ansätze wie die Idee des «Code is Law», auf welchen ich während meiner Masterarbeit zum Thema Internetregulierung aufmerksam wurde, das Thema beschäftigt mich also schon eine Weile. Ich hatte dabei stets einen fast schon spielerischen Zugang zur Thematik mit viel Trial and Error. Hackathons wie das Open Legal Lab erlauben hier niederschwellig die praktische Auseinandersetzung und den Einstieg. Deshalb wäre mein Ratschlag auch, sich früh im überschaubaren Umfang aktiv mit den Technologien zu beschäftigen für kleinere persönliche Projekte, um so die Möglichkeiten und die Grenzen erkennen zu können. Glücklicherweise gibt es heute sehr viele Ressourcen, die den Einstieg erlauben.
Nach der ersten Begeisterung sehen viele die Qualität und die Relevanz der neuen digitalen Tools in den Rechtsberufen nicht mehr so euphorisch. Hat auch Ihre Begeisterungsfähigkeit Einbussen erlitten? Und falls ja: Wie haben Sie sich neu motiviert?
Nicolas Zahn: Ich denke, dass das ein normaler Prozess ist. Wichtig scheint mir, nicht gleich beim ersten Problem alles wieder über den Haufen zu werfen. Mit etwas Hartnäckigkeit und Skepsis bei wohlklingenden Versprechungen wird man für die eigene Organisation passende use-cases finden. Die Motivation kommt bei mir hauptsächlich aus der Neugier aber auch dem Bedürfnis, unliebsame Aspekte meiner Arbeit zu automatisieren.
The Human Factor: Welcher Jurist / welche Juristin muss sich darum Sorgen, dass Künstliche Intelligenz seinem / ihrem Einsatz von natürlicher Intelligenz überlegen ist?
Nicoas Zahn: Ich bin der Ansicht, dass es weniger um den Ersatz des Menschen als um die Anpassung der Job-Profile geht. Die Bankangestellten am Schalter sind durch die Einführung von Bancomaten auch nicht verschwunden, aber ihre Aufgaben haben sich geändert. Insofern scheint mir niemand sicher vor Änderungen seines Job-Profils durch KI, ich würde dem aber nicht unbedingt mit Sorge entgegenblicken. Es bietet sich nämlich das Potenzial, für den Menschen unliebsame Tätigkeiten auszulagern und sich damit auf spannendere Tätigkeiten zu fokussieren. Denken wir an einen Sachbearbeiter bei einer Rechtschutzversicherung: Standardfälle können bereits heute durch simple KI-Systeme triagiert und teils sogar bearbeitet werden, das entlastet den Sachbearbeiter, der sich dann stärker auf die komplexeren Fälle konzentrieren kann.