50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz ist die formale Gleichheit der Frauen_ durch das Recht hierzulande zwar weitgehend garantiert. Die Frage, wie das Recht dazu beitragen kann, eine materielle Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen, wird allerdings weiterhin rege diskutiert. Es sind insbesondere die Legal Gender Studies bzw. die rechtlichen Geschlechterstudien, die sich damit aus einer rechtstheoretischen aber auch -praktischen Perspektive beschäftigen.
Gechlecht als gesellschaftliches Ordnungsprinzip
Im Zentrum der Betrachtungen stehen die Themen Gleichheit, Differenz und die Konstruktion des Geschlechtsverhältnisses. Das Geschlecht wird dabei nicht nur als eine «biologische Tatsache» verstanden, sondern als ein gesellschaftliches Ordnungsprinzip mit dessen Hilfe Macht und Herrschaft organisiert und bestehende Hierarchien zwischen Männern_ und Frauen_ hergestellt werden. Die Ordnung der Machtverhältnisse und die damit einhergehenden rechtlichen Benachteiligungen im Kontext der Geschlechterordnung geht jedoch über die binäre Kategorie von Mann_ und Frau_ hinaus: Die herrschende Geschlechterordnung stützt sich genauso auf Normen der körperlichen Eindeutigkeit und der Heterosexualität wie auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht. In der jüngeren Forschung sind deshalb intersektionale sowie post-gender Perspektiven in den Vordergrund gerückt.
Rechts- sowie Wissenschaftskritik
Die Legal Gender Studies sind als eine Disziplin der Rechtskritik zu verstehen, die das Recht als einen Machtdiskurs kritisiert, welches strukturell konservativ ist und die geltenden gesellschaftsprägenden Normen nicht nur setzt, sondern auch legitimiert und absichert. Die Legal Gender Studies sind aber auch Wissenschaftskritik, denn sie kritisieren die Annahme der Neutralität und Objektivität, welche die Wissenschaft ebenso wie das Recht in Anspruch nehmen. Schliesslich stehen die Legal Gender Studies im Wechselspiel mit der Praxis: Die Erfahrungen von Praktiker_innen fliessen als Forschungsfragen in die Wissenschaft ein und die Erkenntnisse aus der Forschung dienen der Praxis, um ihre Anliegen voranzubringen.
Geschlechterforschung im Schweizer Recht
Trotz der Wichtigkeit rechtlicher Geschlechterstudien in einer zunehmend komplexeren Gesellschaft sind sie in den Schweizer Rechtswissenschaften noch immer eine Randerscheinung. Diese Tatsache nahmen wir, eine Gruppe von Nachwuchsforschenden an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich (UZH), zum Anlass, um den Verein F.Ius (Feministisch.Ius) zu gründen. In einer Vorlesungs- und Workshopreihe zum Thema «Legal Gender Studies: Entwicklungen in der Schweiz» sind wir in diesem Jahr der Frage nachgegangen, wie und ob die Geschlechterforschung im Schweizer Recht Eingang gefunden hat. Die wichtigsten Expert_innen in der Schweiz und Europa konnten den Teilnehmenden ihr Wissen und ihre Erkenntnisse weitergeben. Ausserdem konnten wir einen Raum für Austausch zwischen Nachwuchsforschenden schaffen.
Herbstsemster 2021
In diesem Herbstsemester veranstalten wir online eine weitere Reihe von öffentlichen Vorträgen mit dem Titel «Legal Gender Studies: Highlighting Different Aspects». Internationale Expert_innen werden dort ihre Forschung zu Themen wie Femizide und häusliche Gewalt, reproduktive Rechte und Anti-Diskriminierungsrecht vorstellen. Ausserdem präsentieren wir unter dem Titel «Hörbar Feministisch: Stimmen für Gleichstellung und Gleichberechtigung» an der UZH eine Ausstellung, in der wir ausgewählte Persönlichkeiten porträtieren, die sich auf besonders inspirierende Weise für eine geschlechteregalitäre Welt einsetzen. Durch die Veranstaltung von thematischen Vorträgen und Events möchten wir die Sichtbarkeit von Gleichstellungsanliegen und den Legal Gender Studies in den Rechtswissenschaften fördern und eine Diskussionsplattform errichten, die offen ist für diverse feministische Positionen.
Für die Inputs und Anregungen bedanken sich die Autorinnen bei Julia Meier, Nicole Nickerson sowie Youlo Wujohktsang (Vorstandsmitglieder des Vereins F.Ius sowie PhD Kandidatinnen der Universität Zürich).